Rede von Angelika Feldes, Stadt Spaichingen, beim Festakt zur Einweihung am 26.09.2019

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Sehr geehrter Herr Bürgermeister Schuhmacher, sehr geehrte Frau Roos, sehr geehrte Frau Dr. Dapp, sehr geehrter Herr Schulz, sehr geehrter Herr Pfarrer Heim, sehr geehrte Damen und Herren,

im Jahr 1982 erschienen in der lokalen Tageszeitung, dem Heuberger Boten eine Reihe von Beiträgen, die sich mit den Ereignissen im Spaichinger Konzentrationslager befassten. Anlass hierfür war der 35. Jahrtag der sogenannten „Raststatter Prozesse“, bei denen Führungskräfte und Wachpersonal der Konzentrationslager in Süddeutschland angeklagt waren. Auf den Artikel mit der Überschrift: “Fast vergessen – Hunderte starben in Spaichinger KZ“ vom 2. März 1982 schrieb ein Leser einen entrüsteten – allerdings anonymen - Leserbrief an den Verlag in Leutkirch, in dem er die Errichtung und Pflege der Gedenkstätten an den ehemaligen Konzentrationslagern in Frage stellte. Er schließt mit den Worten: „Geschehenes kann man nicht ungeschehen machen, aber man kann Gras darüber wachsen lassen“.
Diese Einstellung gegenüber der Geschichte des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen war noch lange Jahre zu hören: dass man die Geschichte endlich ruhen lassen sollte und sie nicht immer wieder und immer wieder ausgraben soll.
Wir wissen längst, dass gerade die Aufarbeitung und das Wissen um die Geschichte des Nationalsozialismus und das Erinnern an die Opfer wichtig sind, um das Bewusstsein dafür weiter aufrecht zu erhalten, dass dies nie wieder geschehen darf.
Erste Ansätze des Erinnerns und Gedenkens in Spaichingen gab es schon früh. Die französische Besatzung war es, die an der Bahntrasse, wo 30 verstorbene Häftlinge in einem Massengrab verscharrt worden waren, noch im Jahr 1945 ein Holzkreuz erstellte, links und rechts davon flankiert von zwei Steinblöcken, auf denen die Namen der 30 Todesopfer aus Frankreich, Italien, Jugoslawien, Österreich, Russland, der Slowakei, der Tschechoslowakei und Ungarn eingemeißelt waren.
Der Gemeinderat wurde von der französischen Besatzung verpflichtet, jährlich eine Gedenkveranstaltung an dem Massengrab abzuhalten. Ein Heft mit dem Titel „Miseris Procul Patria Defunctis“ (in etwa zu übersetzen mit: „Den Elenden, fern ihres Vaterlands Verstorbenen “) mit den Namen tausender Opfer der sogenannten „Wüstelager“ in Schömberg und Schörzingen und der Opfer aus Spaichingen wurde 1946 veröffentlicht und ist bis heute eine wichtige Quelle für Historiker und Hinterbliebene und alle, die sich mit der Geschichte der KZ in unserer Region befassen. Aber an eine historische Aufarbeitung war damals noch nicht zu denken.
Anfang der 1960er Jahre beschloss der Gemeinderat, auf Grund des vom Denkmalamt reklamierten schlechten Zustands des Holzkreuzes - das damals übrigens noch von Gärten und Krautbeeten umgeben war - die Anlage neu zu gestalten und ihm damit Würde und auch die Ruhe für ein stilles Gedenken zu verleihen. 1963 wurde die Gedenkstätte mit der offiziellen Bezeichnung „KZ Ehrenmal“ so, wie wir sie bis heute kennen, mit dem Kunstwerk von Roland Martin und den ebenfalls von Roland Martin entworfenen Namenstafeln eingeweiht. In den folgenden Jahren fanden zu besonderen Terminen immer wieder Gedenkveranstaltungen statt, an denen sich die Stadt, die Kirchengemeinden und Spaichinger Bürger beteiligten. Die bereits genannten Zeitungsartikel aus dem Jahr 1982 richteten den Blick der Öffentlichkeit dann erneut auf die Geschehnisse im Spaichinger Konzentrationslager.
Wieder vergingen viele Jahre, bis sich im Rahmen einer umfangreichen Stadtchronik, die 1991 im Auftrag der Stadt Spaichingen erschienen war, ein Beitrag der Geschichte des KZ widmete. Der damalige Redakteur des Heuberger Boten, Jochen Kastilan schrieb damals eine viel zitierte Geschichte des Spaichinger KZ. In der Folge befassten sich immer wieder Schulprojekte und Examensarbeiten mit der Geschichte des Spaichinger Konzentrationslagers und seiner Opfer. Auch in der jüngeren Vergangenheit war es immer wieder auch die örtliche Presse, die das Thema aufgriff, insbesondere Regina Braungart, die durch Archivarbeit und die Befragung von Zeitzeugen zur Aufarbeitung beitrug.
Dr. Andreas Zekorn, Kreisarchivar des Zollern-Alb-Kreises legte vor wenigen Jahren eine wichtige Arbeit über die Geschichte der Wüstelager vor, in der er sich auch intensiv mit dem Lager Spaichingen gefasste, da das Spaichinger Lager dem Lager Schömberg organisatorisch zugeordnet war. Wolfgang Schmid, ein ehemaliger Geschichtslehrer am Spaichinger Gymnasium kommt das große Verdienst zu, zahllosen Schulklassen mit seinen Stadtführungen die Geschichte des Spaichinger Konzentrationslagers näher zu bringen. Zusammen mit Frank Mrowka und einigen Schülern des Gymnasiums entstand 2013 ein Gedenkpfad, der sich dem Mut und der Barmherzigkeit Spaichinger Bürger widmet, die trotz aller Warnungen den KZ-Häftlingen Lebensmitteln zusteckten. Im Laufe der Jahre wurden auf Initiative Spaichinger Bürger und der Kirchengemeinden an verschiedenen Stellen im Stadtbereich, insbesondere des Marktplatzes Erinnerungstafeln angebracht. Im Jahr 2017 schließlich gründete sich in Spaichingen der Verein „Initiative KZ Gedenken Spaichingen“, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Geschichte des Spaichinger KZ weiter zu erforschen und das Gedenken an die Opfer aufrecht zu erhalten. Fast zeitgleich beschloss die Stadt Spaichingen, das bisherige „KZ Ehrenmal“ mit Informationstafeln zu versehen und mit weiteren Namenstafeln auch der restlichen 65 der insgesamt 95 namentlich bekannten , in Spaichingen zu Tode gekommenen KZ Häftlingen ein würdevolles Andenken zu ermöglichen. Seit heute haben nun Spaichinger wie auswärtige Besucher die Möglichkeit, sich endlich auch vor Ort über das bisher unkommentierten Ehrenmal und seiner historischen Hintergründe zu informieren.

Zehn Info-Stelen erklären in deutscher, englischer und französischer Sprache, wie es dazu kam, dass in Spaichingen ein Konzentrationslager betrieben wurde und was die Häftlinge erleiden mussten.
Am Anfang stand die Überlegung, welche Fragen sich Besucher wohl stellen werden, wenn sie dem Hinweisschild „KZ-Ehrenmal“ folgen und dann hinter dem Friedhof diese Erinnerungsstätte vorfinden. Ich persönlich hätte mir folgende Fragen gestellt:
Warum wird gerade hier der toten Häftlinge gedacht?
Warum gab es ein KZ ausgerechnet in Spaichingen und wo war es genau?
Was hatte das KZ Spaichingen eigentlich mit dem fernen KZ Natzweiler Struthof zu tun?
Wer waren die Häftlinge, woher kamen Sie?
Wie waren die Lebensbedingungen in diesem KZ?
Wer waren die Wachleute und wie haben sie sich den Häftlingen gegenüber verhalten?
Wieso starben so viele Häftlinge in kurzer Zeit?
Wer hat von der Anwesenheit der Häftlinge profitiert?
Was hat die Spaichinger Bevölkerung mitbekommen, wie hat sie sich verhalten?
Was passierte mit dem KZ und mit den Häftlingen am Ende des Krieges?
Und was passierte mit den Tätern?
Und wie geht man in Spaichingen heute mit dem Wissen um die Existenz eines KZ um, gibt es hier eine Erinnerungskultur?

Die Tafeln sind ein Versuch, all diese Fragen zu beantworten, dennoch haben sich in der Auseinandersetzung mit dem Thema neue Fragen ergeben und erfordern auch in der Zukunft weitere Forschungsarbeit.
Besonders ergiebig sind die Quellen leider nicht. Kurz vor Auflösung des KZ müssen die Lagerleiter vor Ort, aber auch zentrale Stellen der nationalsozialistischen Verwaltung Unterlagen in großem Stil vernichtet haben.
Dennoch gibt es noch einige Nachweise in Archiven und erstaunlicherweise tauchen immer wieder Dokumente auch in privaten Nachlässen auf. Eine wichtige Quelle sind die Aussagen von Zeitzeugen: ehemaligen Häftlingen, aber auch Anwohnern, die sich noch kurz nach den Krieg, aber auch später zu ihren Erlebnissen und Beobachtungen geäußert haben.

Das erste Konzentrationslager im deutschen Südwesten war nicht weit von hier:
In einem ehemaligen Kriegsgefangenenlager nach dem 1. Weltkrieg eingerichteten Kindererholungsheim in Stetten am kalten Markt, sperrte man bereits im März 1933 regimekritische Männer aus Württemberg und Hohenzollern ein – auch ein Spaichinger, der Instrumentenmacher und bekennende Kommunist Karl Birnbreier war darunter.
Das KZ Stetten war ein Straflager, ein sogenanntes Schutzhaftlager. Aber es enthielt 1933 bereits wichtige Merkmale der Konzentrationslager: Kasernierung, schlechte Unterbringung und Verpflegung, Zwangsarbeit, Demütigung durch Beschimpfung, Anschreien und Schlagen. Viele der Gefangenen wurden damals noch nach einiger Zeit wieder frei gelassen. Andere wurden nach einem halben Jahr, als man beschlossen hatte, das Lager wieder militärisch zu nutzen, in das KZ Oberer Kuhberg nach Ulm verlegt.
Bereits 1933 war die Ausbeutung der Arbeitskraft von Häftlingen ein bewusst eingesetztes Argument für die Anlage von Konzentrationslagern gegenüber den Gemeinden und ihrer ortsansässigen Betriebe.
Mit Schreiben vom 5. August 1933 erging eine Anfrage an alle Oberämter – also auch an das Oberamt Spaichingen - ob eine Bereitschaft für die Errichtung eines Lagers bestünde. Ich zitiere aus dem Schreiben:
„Die Verlegung des Schutzhaftlagers Heuberg, das noch 400 württembergische Schutzhaftgefangene enthält, steht bevor. Ehe ich eine Entscheidung treffe, gebe ich den Oberämtern und Amtskörperschaften Gelegenheit, sich zu äußern, ob in ihren Bezirken Unterkunfts- und Arbeitsmöglichkeiten für die 400 Gefangenen bestehen, wobei ich darauf hinweise, dass die Anwesenheit von 400 Gefangenen in der Umgebung einen nicht unbeachtlichen wirtschaftlichen Vorteil bedeutet.“ Auch für Oberamt und Stadtgemeinde Spaichingen war die Möglichkeit eines Konzentrationslagers als potentielle Ressource für Arbeitskräfte also schon früh bewusst angelegt worden.

In Zusammenhang mit dem Rassenwahn der Nationalsozialisten wurden zahlreiche Vernichtungslager errichtet, deren Ziel es war, Menschen mit bestimmten, dem nationalsozialistischen Menschenideal nicht entsprechenden Merkmalen und Gegner des Regimes zu vernichten. Die Menschen, die in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern starben, wird auf 2 ½ bis 3 Millionen geschätzt. Teilweise wurden in Konzentrationslagern Häftlinge für vorgeblich medizinische Experimente missbraucht. Die Namen dieser Lager – Ausschwitz, Dachau, Theresiestadt, Treblinka, um nur wenige Beispiele zu nennen – und auch das KZ Natzweiler-Struhof im Elsass - sind bekannt.
Es gab aber auch Arbeitslager, deren erklärtes Ziel nicht die Ermordung von Menschen war, sondern die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft. Diese Lager bezogen ihre Häftlinge vornehmlich aus bereits bestehenden Lagern. Häftlinge verschiedenster Herkunft, die aus verschiedensten Gründen inhaftiert worden waren oder im besetzten Ausland für die Arbeitslager entführt worden waren, wurden als Menschenmaterial von der SS den Industriebetrieben zur Verfügung gestellt. Im Gegensatz zu den zivilen Fremdarbeitern erhielten sie keinen Lohn, denn die SS war es, die Entgelte für die Arbeitsleistung der Häftlinge erhielt. Die Erhaltung der Arbeitskraft wurde in den Arbeitslagern nicht angestrebt. Jeder an Entkräftung Verstorbene, jeder ermordete oder zu Tode geprügelte Häftling konnte jederzeit ersetzt werden. Ein solches Lager war das Spaichinger Lager – es gab in Spaichingen keine Gaskammer, in der Häftlinge systematisch ermordet worden wären, auch fehlen Hinweise, dass in Spaichingen Menschen zu medizinischen Zwecken missbraucht worden waren. Dennoch war das Spaichinger Lager ein Teil der menschenverachtenden Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus.

Ich möchte zurückkehren zu der Frage, weshalb es ausgerechnet in Spaichingen ein Konzentrationslager gegeben hat. Die Weichen für das erst spät im Sommer 1944 eingerichtete Lager wurden schon 1942 gestellt und reichen möglicherweise bis ins 19. Jahrhundert zurück.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass wirtschaftliche Überlegungen bei der Anlage bestimmter KZ bereits 1933 angelegt waren. Nutznießer des Spaichinger KZ war in erster Linie die Rüstungsfirma Mauser aus Oberndorf. Sie gehörte allerdings schon lange nicht mehr der Gründerfamilie Mauser, sondern befand sich seit Ende der 1920er Jahre im Besitz der Unternehmerfamilie Quandt. Diese war schon seit dem 1. Weltkrieg durch Rüstungsaufträge reich geworden und betrieb ihre Fabriken - so z.B. den Batteriehersteller Varta, aber eben auch des Waffenhersteller Mauser in Oberndorf - mit firmeneigenen Konzentrationslagern. Die Familie Mauser besaß schon im 19. Jahrhundert auf Dürbheimer Gemarkung einen Schießplatz, auf dem sie Waffen testete. Josephine Bozenhard, eine Tochter des Spaichinger Amtmann Friedrich Bozenhart heiratete 1862 den Firmengründer Wilhelm Mauser. Wann und wie Mauser an das Testgelände in Dürbheim kam, dafür gibt es zurzeit allerdings noch keine Nachweise, es ist aber denkbar, dass hier ein Zusammenhang besteht. Da das Gelände, das nach Ende des 1. Weltkrieges nicht mehr genutzt werden durfte, 1937 wieder in Betrieb genommen wurde, bestand im 2. Weltkrieg auf jeden Fall eine Beziehung von Mauser zu Dürbheim. Möglicherweise war deshalb Spaichingen als nahegelegene Stadt mit Bahnanschluss der Ort der Wahl, als man 1942 nach einem Ort suchte, an dem man wichtige Maschinen vor den drohenden Bombardements durch die Alliierten schützen konnte und man auch die Produktion - von Luftangriffen unbehelligt – weiter betreiben konnte.
Ab 1943 wurden nach und nach Teile des Betriebes nach Spaichingen verlegt, so dass Mauser fast über die ganze Innenstadt verteilt war. Wichtige Maschinen wurden in der Alten Turnhalle gelagert, die wertvolle Waffensammlung im Katholischen Vereinshaus an der Andreas-Hofer-Straße untergebracht. Die geheime Waffenforschungsanstalt fand Platz im Schuhhaus Sulzer an der Hauptstraße. Die Seidenspinnerei, die 1935 als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in der ehemaligen Zigarrenfabrik in der Charlottenstraße 15 eingerichtet worden war, wurde mit dem Einsatz von KZ-Häftlingen aus Oberndorf wieder ausgeräumt und als Mauser-Werkstatt neu eingerichtet. Dort und in Betriebsräumen der Möbelfabrik Gustav Bühler wurde von zivilen Fremdarbeitern und ab September 1944 auch von Häftlingen des Spaichinger KZ die Produktion von Mauser-Waffen fortgeführt.
Mit dem Bau des Konzentrationslagers auf Bulzen – also ungefähr dem Bereich des heutigen Marktplatzes - wurde erst im August 1944, kurz vor Ankunft der ersten Häftlinge begonnen. Hinweise im Stadtarchiv legen nahe, dass Mauser, der Bauherr des Barackenlagers, dieses zunächst für die ortsanwesenden ausländischen Fremd- und Zwangsarbeiter, anlegen wollte. Diese waren bislang in leerstehenden Fabrik- und Gasthaussälen, z.B. in Gasthaus Sonne, in der ehemaligen Schuhfabrik Ragg und in der ehemaligen Seidenweberei – „Franzosenlager“ und „Russenlager“ genannt – untergebracht. Der Bauantrag datiert vom 20. März 1944 und wurde kurz darauf genehmigt. Es ist unklar, warum nicht gleich mit dem Bau der Baracken begonnen wurde, möglicherweise musste kriegsbedingt auf den Bezug von Baumaterial gewartet werden.
Nach der Invasion der Allierten am 6. Juni scheint ein Befehl für den sofortigen Bau eines Lagers ausgegeben worden zu sein, um dieses für KZ Häftlinge bereitzustellen. Nach Auskunft einer Zeitzeugin wurde noch am gleichen Tag das Gelände hinter der Alleestraße vermessen und am folgenden Tag provisorische Wasseranschlüsse gelegt. Die Besitzer der Gärten und Äcker wurden zwangsenteignet, Proteste nützten nichts.
Das elsässische Konzentrationslager Natzweiler Struthof wurde ab dem 1. September 1944 wegen der immer näher rückenden alliierten Truppen evakuiert. Die meisten der rund 6000 Häftlinge wurden nach Dachau und in bereits bestehende oder eilig neu errichtete Außenlager rechts des Rheins transportiert. Es gab in Süddeutschand insgesamt rund 70 dieser Lager, die der Verwaltung des KZ Natzweiler unterstanden – auch die sogenannten Wüstelager in und um Schömberg gehörten dazu. Die letzten Häftlinge aus Natzweiler, rund 100 Männer aus verschiedenen Ländern Europas, waren für den Transport nach Spaichingen bestimmt. Am 26. September 1944, also vor fast auf den Tag genau vor 75 Jahren kamen die ersten Häftlinge in Spaichingen an. Dieses Datum markiert den Beginn des Spaichinger Konzentrationslagers. Das Barackenlager selbst existierte zu dieser Zeit noch gar nicht. Erste Arbeiten, wie das Aufstellen von Zäunen, waren von KZ Häftlingen aus Oberndorf angefangen worden. Es war zunächst die Aufgabe der neu angekommenen Häftlinge aus dem KZ Natzweiler, das Lager fertig zu bauen. Luftbilder der fertigen Anlage zeigen von den 4 geplanten Gebäuden nur drei Gebäude. Es wurden zwei Holzbaracken und ein zweistöckiges Steingebäude erstellt. Die in den Bauplanen ursprünglich vorgesehenen Luftschutzbunker wurden nicht mehr gebaut. Alles scheint sehr provisorisch gewesen zu sein - vermutlich, weil die Umsetzung der Pläne in sehr kurzer Zeit geschehen musste und es wegen des Krieges Lieferengpässe für Baumaterialien gab. Es fehlte aber auch an anderen wichtigen Dingen wie Decken, Kleidung, Entlausungsmittel und Medikamenten.

Als die Baracken mit Unterstützung zwangsverpflichteter Spaichinger Handwerker und erzwungener Transportleistungen soweit fertig gestellt waren, wurden die Gefangenen in Arbeitstrupps eingeteilt. Teilweise arbeiteten sie am Bahnhof, um dort Baumaterialien abzuladen, andere mussten im Gewann Lehmgrube Versorgungsgräben ausheben für die geplante Waffenfabrik der sogenannten „Metallwerke Spaichingen“ – einem Tarnnamen für den Bauherrn Mauser. Andere waren zur Produktion in die Mauser-Werkstätten in der Charlottenstraße oder in der Möbelfabrik aber auch für andere Betriebe in Spaichingen abgestellt. Beaufsichtigt wurden die Häftlinge außerhalb des Lagers von SS-Leuten und anderen Häftlingen, sogenannten Funktionshäftlingen oder Kapos, meist kriminellen Häftlingen, die der SS unterstellt waren, die im Auftrag der Mauserwerke agierten. Diese werden als äußert brutal geschildert. Die Baustelle Lehmgrube war – wie das Barackenlager auch – mit Wachtürmen versehen. Die durch mangelhafte Ernährung, die Kälte und den extremen Läusebefall immer stärker entkräfteten Häftlinge wurden mit Schreien, Demütigungen und Schlägen zur Arbeit antrieben. Mehrfach kam es vor, dass Häftlinge auf der Arbeitsstelle zu Tode geprügelt wurden oder einfach an Entkräftung starben. Spaichinger waren immer wieder Zeugen dieser Vorgänge und beobachteten Häftlingskolonnen auf dem Rückweg ins Lager, die einen Karren mitführten, auf dem tote oder nicht mehr gehfähige Häftlinge mitgeführt wurden. Ermordete oder verstorbenen Häftlinge wurden am Rand der Baracken, von den Zäunen aus gut sichtbar, aufgebahrt und nach Tuttlingen ins Krematorium gebracht. Spaichinger mussten die Fuhrdienste übernehmen. Als es keine Kohle mehr für das Krematorium gab, verscharrte man die Leichen hinter dem Friedhof an der Bahnlinie. Die genaue Zahl der Toten steht bis heute
nicht eindeutig fest. Seit Januar 1945 stieg die Zahl der Toten stark an. Vermutlich weil einerseits die Arbeit und Lebensbedingungen im Lager den Häftlingen zunehmend zusetzten, andererseits waren vermutlich die Neuankömmlinge aus anderen Lagern bereits sehr geschwächt angekommen – immer wieder gab es Tote bereits während der Transporte. Insgesamt sind 95 verstorbene oder ermordete Häftlinge namentlich bekannt. Regina Braungart hat weitere Namen von Häftlingen aufgespürt, die auf Transporten nach Spaichingen oder auf den Todesmärschen verstorben waren, somit sind es laut ihres Beitrags in der letzten Ausgabe der Tuttlinger Heimatblätter 108 namentlich bekannte Häftlinge, die in Bezug zum Lager Spaichingen stehen. Auch in der Aufarbeitung der Opferzahlen und Opferbiographien besteht noch ein weiterer Forschungsbedarf, der in Einbeziehung internationaler Archive sicher noch viele Jahre benötigt.
Das Lager Spaichingen war nur ein kleines Lager, es war mit rund 400 Häftlingen meist überbelegt, denn ständig kamen neue Transporte aus anderen Lagern an, um den Arbeitskräftebedarf decken zu können. Es wurde offenbar in anderen Lagern gezielt nach Männern gesucht, die Erfahrung in Metallberufen hatten.
So berichtet ein Überlebender, Meir Eldar, dass er sich im KZ Buchenwald freiwillig für das KZ Spaichingen gemeldet hatte, als dort Metallarbeiter gesucht wurden, in der Hoffnung, dass die Arbeit in der Fabrik seine Überlebenschancen erhöhen würden. Er wurde allerdings enttäuscht, als er erkennen musste, dass die Lebensbedingungen in dem kleinen provisorisch organisierten Spaichinger Lager viel schlechter waren, als in Buchenwald. Mehrere Häftlinge sagten übereinstimmend aus, dass das Spaichinger Lager das
schlimmste von allen war – für die meisten Häftlinge war Spaichingen nicht die erste Station. Viele Häftlinge waren vorher in einem oder mehreren anderen Lagern gewesen und wie die Natzweiler Häftlinge aus ihren Lagern evakuiert worden. Viele Häftlinge erinnern sich allerdings dankbar an die Hilfsbereitschaft der Spaichinger Bevölkerung. Wie an anderen Orten auch, wo die Bevölkerung die Existenz der Lager und das Leid der Häftlinge täglich vor Augen geführt wurde, versuchten viele, den Hunger der abgemagerten Häftlinge durch die heimliche Zuwendung von Brot und Obst zu lindern. Es gab wohl einige wenige SS-Leute, die das tolerierten. Meist wurden die Häftlinge, die sich nach den Lebensmitteln bückten, jedoch brutal geschlagen und angeschrien, zwei französische Häftlinge wurden direkt erschossen. Soweit Personen direkt erwischt wurden, wie sie den Häftlingen etwas zustecken wollten, wurden diese mit KZ-Haft bedroht. „Noch einmal, und ihr kommt mit“ ist ein Satz, der von Zeitzeugen überliefert ist und das Motto für den Spaichinger Gedenkpfad entlang der täglichen Marschroute der Häftlinge stellt.
Es kann auf jeden Fall davon ausgegangen werden, dass zumindest die erwachsene Bevölkerung von Spaichingen im Bilde war, was das KZ und die Situation der Häftlinge angeht. Die Möglichkeit, Häftlinge persönlich kennenzulernen gab es kaum. Der Bevölkerung war der Kontakt streng verboten. Gelegentlich hatten Häftlinge kurzen Kontakt zu bestimmten Personen, z.B. wenn sie bei der Bäckerei Georg Merkt Brot oder in der KZ Küche im Gasthof Kreuz Essen abholten oder dort direkt mitarbeiteten. Das Wachpersonal dagegen kannte man in Spaichingen, oft sogar mit Namen. Wachleute verkehrten im Gasthaus Engel, sicher auch in anderen Gastwirtschaften, viele wohnten in privaten Unterkünften, ließen ihre Wäsche von Spaichinger Frauen waschen und bügeln und so entstanden Bekanntschaften, auch von Liebschaften berichten Zeugen in den Raststatter Prozessen.
Am 20. April 1945 marschierten französische Truppen in Spaichingen ein. Nur wenige Tage vorher vom 16. bis 18. April wurde das Spaichinger Lager evakuiert. Nichts sollte mehr an das KZ und die Vorgänge darin erinnern. Die Häftlinge, die bereits ahnten, dass etwas im Gange war, wurden mit wenigen Lebensmitteln ausgestattet und zunächst Richtung Tuttlingen getrieben. Gemeinsam mit den Todesmärschen aus anderen Lagern marschierten die Häftlinge Richtung Allgäu, um den herannahenden alliierten Truppen auszuweichen. Es ist unklar, welche weiteren Pläne man mit den Häftlingen hatte, vermutlich sollten sie dort von der Öffentlichkeit unbemerkt schließlich doch noch ermordet werden. Es wird von Überlebenden berichtet, dass die SS-Leute, die den Zug begleiteten, sich weiterhin brutal verhielten und zu schwache Häftlinge, die nicht mehr weitergehen konnten, erschossen - später ließ man sie einfach liegen. Manchen gelang die Flucht, da man oft nachts unterwegs war und sich in Waldgebieten gut verstecken konnte. Andere hielten durch, bis der Tross in der Gegend von Füssen ankam. Mehrfach wird geschildert, dass die Häftlinge, rund 200 an der Zahl, in der Scheuer eines Bauernhofes untergekommen waren und am nächsten Morgen feststellten, dass sich die SS-Bewacher aus dem Staub gemacht hatten. Zu ihrer großen Überraschung waren die Häftlinge plötzlich ohne Bewacher und frei. Die Häftlinge stießen bald auf amerikanische Truppen, die sie in besetzten öffentlichen Gebäuden unterbrachten, ihnen zu essen gaben und medizinisch versorgten. Dann waren sich die Häftlinge sich selbst überlassen. Ein Teil der Häftlinge machte sich auf den Heimweg, andere hatten keine Heimat und auch keine Angehörigen mehr. Für alle begann ein neues Leben in Freiheit, viele jedoch seelisch und körperlich gebrochen, andere voller Optimismus, das Erlebte überwinden zu können und trotz aller bitterer Erinnerungen in der alten oder einer neuen Heimat endlich wieder ein menschenwürdiges Leben zu leben.

Dank
Es ist mir ein großes Bedürfnis allen zu danken, die meine Arbeit in den letzten beiden Jahren und auch nach Fertigstellung der Texte unterstützt und begleitet haben. Ich danke allen Personen und Institutionen, die bereit waren, Fotografien und Illustrationen für die Infotafeln beizusteuern, da es für Spaichingen so gut wie kein Fotomaterial aus dieser Zeit gibt. Insbesondere möchte ich mich bei Dorothe Roos, Arno Huth und der Gedenkstätte Neckarelz bedanken. Für viele Gespräche, wichtige Informationen und seltene Bildmaterial danke ich Frau Lieslotte Keil und vielen anderen Spaichingern.
Für die kritische Durchsicht der Texte danke ich den beiden Historikern Kreisarchivar Herrn Dr. Hans Joachim Schuster aus Tuttlingen und Herrn Kreisarchivar Dr. Andreas Zekorn aus Balingen, der Vorsitzenden des Vereins Initiative Eckerwald Frau Brigitta Marquart-Schad und der Vorsitzenden des Vereins Initiative KZ Gedenken Spaichingen, Frau Dr. Ingrid Dapp.
Für die Übersetzung der Texte in die englische Sprache bedanke ich mich bei Herrn Denis Krauss, für die Übersetzung in die französische Sprache Frau Anni Mühleck.
Für die Gestaltung der Informationstafeln und die große Geduld für immer wieder neue Änderungswünsche danke ich dem Grafikbüro graphik-pool aus Spaichingen und für die gute Zusammenarbeit während der letzten 6 Monate.
Gemeinsam mit Bürgermeister Hans Georg Schuhmacher, Wolfgang Schmid, Frank Mrowka und Baumamtsleiterin Petra Schmidmann-Deniz haben wir in zahlreichen Besprechungen und Vorort-Terminen in den letzten 2 Jahren gemeinsam die Gestaltung der Gedenkstätte geplant und sind meiner Meinung nach schließlich zu einem ansprechenden Ergebnis gekommen, dafür und für die gute Zusammenarbeit auch allen ungenannten meinen herzlichen Dank.
Zuletzt bedanke ich mich bei allen, die mit ihren Grußworten die Bedeutung dieser neu gestalteten Gedenkstätte deutlich gemacht haben und der musikalischen Begleitung durch das Bläserensemble der Stadtkapelle und Frau Ana Maria Falan, die wir gleich noch bei der Kranzniederlegung hören werden.

Übrigens:
„Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!“ dieser Aufruf auf der ersten der Info-Stelen der neu gestalteten Gedenkstätte ist ein Zitat. Es stammt von ehemaligen KZ Häftlingen bei der Einweihungsfeier der Gedenkstätte des KZ Buchenwald im Jahr 1956.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Autorin

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