Die Erinnerung darf nicht enden
Die mühsame Beschäftigung mit einem dunklen Kapitel der Spaichinger Geschichte:
Die Erinnerungspflege zum KZ Spaichingen 1945-2017
„Was hier geschah, ist keine fremde Propaganda, sondern furchtbarste deutsche Wirklichkeit. Hier wurden von Deutschen Schandtaten verübt, wie sie in christlicher Zeit kein anderes Herrschaftssystem sich hat zuschulden kommen lassen. Vergessen wollen ist Torheit. Wir kommen keinen Schritt weiter mit uns selbst, wenn wir vor dieser Dornenkrone nicht merken, dass sie zu uns spricht.“ (zitiert nach: Jochen Kastilan, „Das Konzentrationslager in Spaichingen“ in: „Spaichinger Stadtchronik“ 1990, S. 291)
Mit diesen leidenschaftlichen Worten wandte sich Regierungspräsident Birn (Tübingen) an die Teilnehmer bei der Einweihung des KZ-Ehrenmals am 24. November 1963. Dieses städtische Ehrenmal – eine schlichte und doch kühne Stahlkonstruktion des Tuttlinger Bildhauers Roland Martin – erhebt sich zwischen dem Friedhof und der Bahnlinie Rottweil – Tuttlingen an der Stelle, wo wohl von September 1944 bis April 1945 in einem Massengrab KZ-Häftlinge verscharrt wurden. Die Namen von 30 „Opfern der Gewalt“ sind auf vier Bodenplatten angeführt.
Gleich nach dem Krieg wurde auf Geheiß der französischen Besatzungsmacht an dieser Stelle ein erstes Mahnmal aus rotem Sandstein errichtet (18. August 1946).
Im Archiv der Stadt Spaichingen werden für die folgenden Jahre Gedenkfeiern im August bzw. September erwähnt. Jeweils am Volkstrauertag legt der Spaichinger Bürgermeister am Ehrenmal einen Kranz nieder. Viele Jahre legte der italienische Konsul am italienischen „Tag der Befreiung“ einen Kranz nieder zum Gedenken an die im KZ Spaichingen umgekommenen 20 Italiener. Beim traditionellen „Gräberbesuch“ der katholischen Pfarrgemeinde an Allerheiligen wird jedes Jahr auch Station am Ehrenmal gemacht. Viele Jahre haben Klassen des Gymnasiums sowohl die Anlage am Ehrenmal hergerichtet als auch dort im Rahmen des Unterrichts an die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten erinnert
Mit einer Gedenktafel oder Gedenkplatte an der eigentlichen Lagerstätte im Marktplatzbereich tat man sich in der Stadt schwer. Dort, wo von September 1944 bis April 1945 drei Baracken für 300 bis 400 Häftlinge standen, fand sich über Jahrzehnte kein Hinweis: “Entsprechende Anträge fanden keine Mehrheit“ (Jochen Kastilan, a.a.O., S.286). 1979 wurde dann am neuen Martin-Luther-Haus von der evangelischen Kirchengemeinde ein kleines Erinnerungsschild angebracht.
Sehr energisch und kompetent hat sich in den 80er und 90er Jahren der Redakteur des „Heuberger Boten“, Jochen Kastilan, für die Aufarbeitung des Themas „KZ Spaichingen“ eingesetzt. In zahlreichen Artikeln und besonders durch die Organisation einer großen Ausstellung im Gewerbe-Museum 1994 (zusammen mit Dr. Anton Honer) hat er die Bevölkerung mit diesen finsteren sieben Monaten konfrontiert. Über 2200 Besucher waren betroffen und schockiert über die grausamen Vorkommnisse auf Spaichinger Boden.
Das Erinnern ist ein fließender, lebendiger Prozess. Mit dem Tod vieler Überlebender der Schreckensjahre 1932-1945 wurde die Erinnerung von den nachfolgenden Generationen übernommen.
Im ökumenischen Rahmen wurde der jährliche Solidaritätsweg am 9./10. November (Reichskristallnacht 1938) abgehalten, bei dem immer wieder das „KZ Spaichingen“ thematisiert wurde, etwa durch die Anfertigung eines Gedenkkreuzes aus dem geretteten Holz der von Häftlingen errichteten Montagehalle 1944/45.
Zwei frühere Schülerinnen des Gymnasiums Spaichingen, Frau Tina Zepf und Frau Gabriele Armbruster, behandelten 2009 bzw. 2010 in ihren wissenschaftlichen Zulassungsarbeiten für das Lehramt an der PH Weingarten bzw. PH Freiburg spezifische Fragen zum KZ Spaichingen.
2005 wurden durch Privatinitiative mit Unterstützung beider Kirchengemeinden und des Stadtrats drei Bronzeguss-Platten an drei Stellen des früheren Barackengeländes angebracht. Schülerinnen des Gymnasiums und Schüler einer Metallklasse der Erwin-Teufel-Schule gestalteten die Platten unter Anleitung von Frank Mrowka, Frieder Preis, Franz Dreher und Wolfgang Schmid.
2008 errichtete die Firma HOGRI auf ihrem Betriebsgelände im Gewann Lehmgrube einen Gedenkstein zur Erinnerung an die hier von den Häftlingen 1944/45 errichtete und 1999 abgerissene Montagehalle.
2012 wurde, wieder durch Privatinitiative, mit 10 kleinen Bodentafeln der tägliche „Leidensweg“ der KZ-Häftlinge vom heutigen Marktplatz zum Gewann Lehmgrube, wo eine Halle für die Firma Mauser (Oberndorf) von den Häftlingen erstellt wurde, der Öffentlichkeit vorgestellt. Gestaltung: Frank Mrowka, Frieder Preis, Christina Hauser.
2014 und 2015 trug die Theatergruppe der Realschule Spaichingen (Leitung: Susanne Tröster) bei zwei öffentlichen Veranstaltungen ein Sprechstück (Performance) über das Schicksal der Häftlinge vor (Text: Wolfgang Schmid).
2015 fand die Ausstellung „Freiheit so nah – so fern“ der Landeszentrale für politische Bildung Stuttgart über die Auflösung der Außenlager Natzweiler-Struthof im Gewerbe-Museum statt (über 600 Besucher, viele Klassenführungen). – Unter dem Titel „Forschen – Erinnern – Gedenken“ stand der „Aktionstag Geschichte“ des Landkreises Tuttlingen am 20. 3. 2016 mit Vorträgen zur Zeitgeschichte und Erinnerungskultur im Gewerbemuseum. Ein Info-Stand und eine Stadtführung zum Thema „KZ Spaichingen“ waren dabei.
Am 21.4.2016 wurde im Gasthaus „Engel“ auf Initiative von Angelika Feldes (Leiterin des Gewerbemuseums) und Wolfgang Schmid von 10 Teilnehmern die „Initiative KZ Spaichingen“ gegründet. Die Absicht: Alle Informationen zum Thema „KZ Spaichingen“ zu sammeln, zu systematisieren und vor allem auch jungen Menschen zugänglich zu machen, also Forschen – Informieren – Gedenken. Die neue Initiative wurde in die Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Gedenkstätten-Initiativen ( LAGG) aufgenommen, die bei der Landeszentrale für politische Bildung Stuttgart angeschlossen ist. Die Initiative wurde auch Mitglied beim Verbund der Gedenkstätten im ehemaligen KZ-Komplex Natzweiler (VGKN).
Am 19.1.2017 gründete die Initiative den Verein „Initiative KZ-Gedenken in Spaichingen“ mit den Vorstandsmitgliedern Frau Dr. Ingrid Dapp, Frau Angelika Hauser und Herrn Beat Dorsch. Bei einer Informationsveranstaltung am 4.4.2017 im Martin-Luther-Haus konnten vor einem großen Zuhörerkreis erste Aktivitäten und Recherchen vorgestellt werden, etwa die Befragung von Spaichinger Zeitzeugen.
Am 19. Juli 2017 wurde auf Privatinitiative am Marktplatz eine Info- und Gedenktafel auf Schwarzwälder Jurastein enthüllt (Gestaltung der Tafel Frank Mrowka, Frieder Preis, Samantha Götschl). Geplant war eine Gedenkansprache von Dr. Heiner Geißler, der als Jugendlicher das KZ Spaichingen erlebt hat. Leider musste er kurzfristig krankheitsbedingt absagen.
Etwa seit 2004 finden jährlich zahlreiche Klassen- und Gruppenführungen „Auf den Spuren der KZ-Häftlinge“ durch Wolfgang Schmid statt.
„Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was daraus in der Geschichte wird.“ Das Wort des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker provoziert und motiviert, dass wir die Kraft des aufrichtigen Erinnerns brauchen, um uns vor Fehlern in der Zukunft zu bewahren.
Wolfgang Schmid, Mai 2017