Hintergrundinfos

Eva Kiss

Zur Person

Eva Kiss befragt in ihren Arbeiten die Vergangenheit als einen Teil ihrer eigenen Geschichte.
Sie bearbeitet und transformiert persönliche Erfahrungen und Erinnerungen in ihrem Werk
so, dass sie universell gültig und allgemein verständlich werden. Für die sehr komplexe
Problematik der Intimität hat sie eine eigene künstlerische Strategie entwickelt. So stickt oder
näht sie einzelne Motive auf kleine Stoffteile, welche sie wiederum in unterschiedlichen
Zusammenstellungen zueinander in Beziehung setzt. Kleinere Arbeiten – die durchaus für
sich stehen können – werden so zu größeren Bildkompositionen. Dabei werden die Arbeiten
nur mit Stecknadeln befestigt, um sie bei Bedarf auch in einem anderen Kontext wieder zu
verwenden. Ähnlich unserem menschlichen Erinnerungsvermögen und Erkenntnisgewinn,
entstehen hier Bilder in einer Ambivalenz von Indiskretion und Diskretion, von Nähe und
Distanz. Durch die Auseinandersetzung mit ihrer persönlichen Vergangenheit gelingt es der
Künstlerin durch Vereinfachung und einer verblüffenden Auswahl eine sehr persönliche
eigene Ordnung und neue überraschende Zusammenhänge in ihren Arbeiten zu entwickeln.

Die Arbeiten von Eva Kiss machen neugierig. Die Vielfältigkeit ihrer Arbeiten erlauben es den
Betrachtenden sich einer komplexen Thematik zu nähern ohne abgeschreckt zu werden.
Trotz ihrer durchaus ernsten Problematik verströmen die Arbeiten eine Leichtigkeit, und ja
sogar ein Gefühl der Freude, beim Gang durch die Ausstellung.

Einen interessanten Einblick in die Arbeitsmethode von Eva Kiss ermöglicht ein Kurzfilm von
Johannes Rodach, der während der Ausstellung zu sehen sein wird.

Eva Kiss erzählt über Ihren Vater

Mein Vater wurde am 16.2.1911 in Salgotarjan / Ungarn geboren. Von Beruf war er Maschinen-
schlosser und Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Ungarns.

Anfang Oktober 1932 wurde Gyula Gömbös von Horty, dem damaligen Reichsverweser, zum
ungarischen Ministerpräsidenten ernannt. Gömbös war ein rechtsextremer und antisemitischer
Politiker. Er unterhielt sehr enge Beziehungen zu Hitler und dem nationalsozialistischen
Deutschland. Ab 1933 mussten alle Gegner und Illegale vor dem Gömbös Kabinett aus Ungarn
flüchten. Während dieser Zeit war mein Vater als Grenzbeamter bei der Passkontrolle an der
ungarischen-tschechischen Grenze eingesetzt. Er hatte Verbindungskameraden in der
Tschechoslowakei und half Verfolgten des Gömbös Regimes zur Flucht.
Dabei „wurde ich von der geheimen Feldpolizei verhaftet und in das sehr bekannte politische
Zuchthaus in Budapest VIII. gebracht. Am 25. Oktober 1933 wurde ich von dem Militärgerichtshof
als ‚Staatsfeind‘ gegen die ungarische Staatspolitik zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. […] Im Jahr
1936 starb Gömbös und das nachfolgende ungarische Kabinett setzte die Politik der
Zusammenarbeit mit Hitler fort.“ Als die Deutschen im März 1944 Ungarn besetzten, wurden alle
politisch Verurteilen, Juden, Sinti und Roma in das Sammellager nach Komarom verbracht. Von
dort wurde mein Vater „von dem ehemaligen Führer der faschistischen „Pfeilkreuzler“ Szálasi an
Deutschland ausgeliefert und durch die Waffen SS in das Konzentrationslager Dachau deportiert.
An der linken Brustseite trug ich den roten Winkel und die Lagernummer :126.113. […] Ende
November 1944 wurden wir etwa 150 KZ Häftlinge von Dachau aus ins Konzentrationslager
Spaichingen überführt. Dort mussten wir zuerst unser KZ Lager aufbauen. Später arbeiteten wir in
den Metallwerken Spaichingen.“
„Metallwerke Spaichingen“ war ein Tarnname. Es handelte sich um die Waffenfabrik Mauser, die
damals der Familie Quandt gehörte. Im KZ Spaichingen (ein Außenlager des KZ Natzweiler), das
mitten im Ort lag, herrschten unvorstellbare Zustände. Läuse, Krankheiten, Tod, Kälte, Hunger,
Durst und Folter. Häftlinge wurden wahllos mit Knüppeln zusammengeschlagen.
Als mein Vater beispielsweise aus einer Abfalltonne einen Knochen holte, wurde er dafür bestraft.
Ihm wurde am linken Mittelfinger das Endglied abgehackt. „Was wir für ein schweres Leben gehabt
haben, weiß jeder Einwohner in Spaichingen“. „Wegen Frontannäherung am 18.April 1945 wurde
unser KZ Lager evakuiert. Fünf Tage und fünf Nächte marschierten wir ohne jede
Nahrungsaufnahme in Richtung Dachau. Unser Bettlertrupp marschierte durch Tuttlingen,
Messkirch, Pfullendorf, Waldsee“. Wer nicht mehr weiter konnte, wurde erschossen. „Ich blieb im
Landkreis Memmingen halbtot in einem Wald liegen. Die Staatspolizei von Memmingen brachte
mich in den Polizeiarrest. Am 26. April 1945 wurde ich von den Amerikanern befreit und schwer
krank ins Kreiskrankenhaus Memmingen gebracht.“
Nach seiner Genesung lebte er als Displaced Person in der Moltke Str. 1 in Memmingen. In
Memmingen lernte er meine Mutter kennen und heiratete sie. Mein Vater versuchte in Memmingen
Arbeit zu finden und stellte u.a. einen „Antrag für einen Ausweis ehemaliger KZ-Insassen“. Dieser
Antrag wurde von der Zivil-Ausländer Lagerverwaltung in Person von Amtmann Eugen Wurm
(ehemaliges Mitglied der NSDAP) so schlecht referiert, dass der Antrag für politisch Verfolgte von
der Militärregierung durch Herrn Lt. Pane abgelehnt wurde. So hat es mein Vater aufgeschrieben.
Weil ihm dieses Papier fehlte, fand er keine Arbeit. Das war ein Grund, dass er in Memmingen
kaum in der Lage war seine Familie zu versorgen. Deswegen kehrte er nach Ungarn zurück. Seine
Ehe mit meiner Mutter wurde aber vom ungarischen Staat nicht anerkannt. Für die Ungarn war
meine Mutter deutsch und alle Deutschen waren Nazis. Ich habe später meinen Vater öfter in
Budapest besucht. Aber er hat nicht über seine schreckliche Zeit geredet. Ich habe mich gefürchtet
davor, und er vielleicht auch.

Eva Kiss, München
Die Zitate sind mehreren Schreiben und Briefen meines Vater entnommen.

Vater von Eva Kiss