Grußwort von Dorothee Roos beim Festakt zur Eröffnung am 26.09.2019

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Sehr geehrter Herr Bürgermeister Schuhmacher, sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung, an diesem besonderen Tag in Spaichingen ein Grußwort sprechen zu dürfen. Mein Name ist Dorothee Roos, ich komme von der KZ-Gedenkstätte Neckarelz. Heute vertrete ich hier aber einen Verein mit dem etwas sperrigen Kürzel VGKN – Verbund der Gedenkstätten im ehemaligen KZ-Komplex Natzweiler. Wie Sie alle wissen, war das Außenlager Spaichingen Teil dieses Komplexes, eines von knapp 40 Außenlagern von Natzweiler auf der rechten Rheinseite. In 16 Orten von ehemaligen Außenlagern auf deutscher Seite gibt es heute Gedenkstätten oder Initiativen, die eine Gedenkstätte anstreben.
Fast alle dieser Stätten verdanken sich Initiativen von der Basis, also dem bürgerschaftlichem Engagement - mit dem Bestreben, die 40 Jahre lang fast vergessene Geschichte der Außenlager zu bewahren und öffentlich zugängliche Gedenk- und Lernorte zu schaffen. Zur Spaichinger Geschichte innerhalb dieses Rahmens wird noch viel zu hören sein, dem will ich nicht vorgreifen.

Im Jahr 2016 haben sich zunächst 12 Gedenkstätten aus Baden-Württemberg zu einem Verbund zusammengeschlossen, inzwischen ist mit dem AK Wüste in Balingen eine dreizehnte hinzukommen, außerdem gehören zwei initiativen aus Hessen und eine aus Rheinland-Pfalz dem Verbund an. Partner des VGKN sind unsere französischen Kolleginnnen und Kollegen von den französischen Gedenkstätten am Ort ehemaligen Hauptlagers und zweier Außenlager-Orten. Statt Ihnen nun theoretisch zu erläutern, warum ein solches Netzwerk der Gedenkstätten Sinn macht, will ich Ihnen das an einem Beispiel erläutern.
Der Luxemburger Bäcker Jean-Pierre Hippert, geboren am 3. April 1915, wird am 9. Dezember 1942 als „Resistenzler“ verhaftet und zusammen mit anderen Luxemburgern Widerständigen am 28.Dezember in das Durchgangslager Hinzert in Rheinland-Pfalz eingeliefert. Am 20. Januar 1943 betritt er erstmals den Kosmos Natzweiler, in diesem Fall das Hauptlager. Er ist zu diesem Zeitpunkt 27 Jahre alt. Nach 3 Monaten in Natzweiler kommt er im April 1943 in das Außenlager Obernai, errichtet bei einer SS-Nachrichtenschule, von dort geht es nach 5 Monaten zurück ins Hauptlager, dann wird er auf die andere Rheinseite ins Außenlager Heppenheim an der hessischen Bergstraße geschickt, um in der „Teeplantage“ der SS zu arbeiten, dann nach Süden ins neu geschaffene Außenlager Iffezheim bei einem Wirtschaftslager der SS weitergereicht. Nach einem kurzen Zwischenspiel in Berlin-Lichterfelde zu einem Sonder-Arbeitseinsatz bei SS-Obergruppenführer Oswald Pohl schickt man ihn Anfang März 1944 ins Hauptlager Natzweiler zurück , wo er die Härte des dortigen Lebens wieder stark empfindet. Von Natzweiler geht es ins weit entfernte Außenkommando Ellwangen – doch, wie der französische Historiker Robert Steegmann vermerkt, schon am 22. März 1944 wieder zurück ins Elsass nach Ste-Marie-aux-mines, wo, gerade eben in einem Vogesentunnel eine unterirdische Rüstungsfabrik mit Produktion für BMW an läuft, allerdings arbeitet Hippert teilweise auch in einer Bäckerei in Colmar. Im Herbst 1944 streift Hippert kurz die „Wüste“-Lager und gelangt schließlich, wohl von Schömberg, ins Außenlager Spaichingen.
Auch hier kann er als Bäcker arbeiten, in der Bäckerei Merkt in der Stadt. Hier in Spaichingen wird er 30 Jahre alt, bevor im April 1945 die Evakuierung beginnt. Hippert überlebt den langen Weg durch 9 Lager sowie den Evakuierungstransport, kehrt nach der Befreiung nach Luxembourg zurück und stirbt am 30. Juli 2005 im Alter von 90 Jahren.

Dieses Beispiel ist vielleicht extrem, nicht alle Häftlinge durchliefen so viele Lagerorte. Aber man sieht, dass die lokale Gedenkarbeit zwar immens wichtig ist, sie ist die Grundlage für alles und bedarf der Verankerung in den Kommunen. Doch man muss Natzweiler als System, als Lager-Kosmos begreifen. Die Zusammenarbeit der Gedenkstätten ist genauso notwendig, nur der enge Kontakt und der Austausch von Forschungsergebnissen lässt ein Gesamtbild entstehen. Nur so können weiße Flecken ausgefüllt werden, das gilt für die Opferseite ebenso wie für die Täterseite. Die Zusammenarbeit muss grenzübergreifend sein, wie das Beispiel gezeigt hat. Das betrifft zunächst den deutsch-französischen Rahmen, aber letztlich ist sie eine europäische Aufgabe. Die Häftlingsgesellschaft des KZ-Komplex Natzweiler war multinational, im Hauptlager ebenso wie in den Außenlagern. Die internationale Kooperation der Gedenkstätten im Bereich Natzweiler wurde 2018 mit dem Europäischen Kulturerbe-Siegel ausgezeichnet, sie bleibt im Bereich der Forschung und Wissenschaft, aber insbesondere auch der Pädagogik eine Zukunftsaufgabe.

Spaichingen ist der südlichste Knotenpunkt im rechtsrheinischen Netzwerk von Natzweiler, der Verein „KZ-Gedenken in Spaichingen“ mit seiner Vorsitzenden Dr. Ingrid Dapp ist Gründungsmitglied im VGKN, Dr. Albrecht Dapp gehört dem dreiköpfigen Vorstand des VGKN als Schatzmeister an. Vielleicht tritt ja auch die Stadt Spaichingen, wie schon acht andere Sitzorte und -kreise von Gedenkstätten, eines Tages dem VGKN als Fördermitglied bei?

Ich beglückwünsche die Stadt Spaichingen ebenso wie den Verein zum Ausbau der bisherigen Gedenkzeichen zur veritablen und beeindruckenden Gedenkstätte. Sie wird vor allem durch pädagogische Arbeit, durch Führungen und Workshops für Schulklassen und andere Gruppen, mit Leben zu erfüllen sein. Ich hoffe auf gute Zusammenarbeit zwischen Stadt und Verein ebenso wie auf weitere fruchtbare Kooperation in und mit dem VGKN. Dazu ein herzliches Glückauf – und Ihnen allen Dank fürs Zuhören.

 

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Autorin

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