Die Vergangenheit soll nicht ruhen
Überlebende der KZ im Schlichemtal und deren Angehörige trafen sich in der Gedenkstätte Eckerwald. Dabei ging es auch um europäische Perspektiven.
Da ist zum Beispiel Tihomir Hudicek aus Kroatien. Er ist zum ersten Mal ins Schlichemtal gekommen, um das Grab seines Vaters Franjo Hudicek zu besuchen. Er wurde im KZ Schörzingen umgebracht. Tihomir Hudiceks Enkel erzählt von seiner 99-jährigen Großmutter, die ihren Mann letztmals 1943 gesehen hat. “Sie erinnert sich noch gut an ihn und kann das alles immer noch nicht begreifen”, sagt er.
Da ist zum Beispiel der 90-jährige Eugeniuz Dabroswki, der die KZ Auschwitz, Dachau und Schörzingen überlebt hat. “Die Erinnerung treibt uns die Tränen in die Augen”, erklärt er. Da ist zum Beispiel Gaston Rath, der eine Delegation aus Luxemburg anführt. Die Initiative Eckerwald kehre nichts unter den Teppich und mache sich deshalb auch verletzlich, sagt er mit tränenerstickter Stimme. Da ist zum Beispiel Anne Jacques von der französischen Delegation, die von dem Verbrechen der SS in einem kleinen Dorf in den Vogesen erzählt. Von sterbenden Kindern, geschundenen Menschen, Exekutionen. Die Tyrannen existierten heute immer noch, genau so wie Dummheit und Hass. Im Hinblick auf die Kriege in dieser Welt stellt sie die Frage:
“Wer gibt ihnen das Recht?”
Bei der Gedenkfeier am Mahnmal in der Gedenkstätte Eckerwald gestern stellte Dorothee Roos das Europäische Kulturerbesiegel vor, das die Initiative Eckerwald zusammen mit zwölf weiteren Gedenkstätten in Orten, wo Außenlager des KZ Natzweiler im Elsass gewesen sind, erhalten hat. “Wer eine Brücke bauen will, muss den Abgrund kennen”, führt sie aus und umschreibt damit das Thema der Gedenkfeier, das da lautet: “Grenzen überwinden, Brücken bauen, Europa gestalten”.” Europa war 1944 und 1945 hier", sagt Dorothee Roos und verweist auf die Häftlinge in den Natzweiler-Außenlagern, die 30 verschiedenen Nationen angehört haben. Die Gedenkstätten schauten dort hin, wo es weh tut. Man wolle die Vergangenheit nicht ruhen lassen, sondern habe Kontakt zu den ehemaligen Häftlingen und deren Angehörigen gesucht. Das Europäische Kulturerbesiegel habe man erhalten, weil man europäische Versöhnungs- und Friedensarbeit geleistet hat. Ein bloßes Verharren in der Vergangenheit mache aber keinen Sinn. “Wir wollen das Bewusstsein dafür schärfen, wie kostbar der Frieden ist”, sagt Dorothee Roos.
Ein Bläserensemble der Musikschule Rottweil sorgt für die musikalische Umrahmung der Feier. Eine Schülerin und ein Schüler aus Königsfeld reißen in einer Performance die steinernen Grenzen aus Folter, Nationalismus, Hass oder Fremdenfeindlichkeit ein und bauen aus den Bausteinen ein Tor, durch das man aufeinander zu schreiten kann. Abschließend erklingt die Europahymne mit Schillers Ode an die Freude.
Daniel Seeburger, Balinger Zeitung