
Spaichingen – Er aß in der Regel „langweilig“. Kohl, weiße Bohnen, Linsen. Und was seinen heutigen Verehrern oder Relativieren wahrscheinlich besonders wenig gefallen wird: strikt kein Fleisch. Er spielte mit seinem Schäferhund Blondi, während er über Menschheitsverbrechen nachdachte und beim Waldspaziergang über noch verheerendere Waffen für den Genozid an Polen und Russen sinnierte. Oder sich über den Fortschritt der Ausrottung der europäischen Juden informieren ließ.
In einer skurrilen Mischung aus alltäglicher Banalität zwischen seine Entourage quälenden Teestunden in den frühen Morgenstunden, Schnakenstichen und der Führung des die Welt verändernden Krieges rollt der Autor und Spiegel-Journalist Felix Bohr in seinem neuen Buch den Alltag mit Adolf Hitler in dieser Kommando-Siedlung vor den Lesern aus. Auf Einladung des Vereins „Initiative KZ-Gedenken in Spaichingen“ liest Bohr am Dienstag, 11. November, um 19 Uhr im Martin-Luther-Haus in Spaichingen aus „Vor dem Untergang – Hitlers Jahre in der „Wolfsschanze“.
Aus bisher nicht veröffentlichten Quellen, dem genauen Studium der Lokalität beim ostpreußischen Rastenburg, dem heutigen Kętrzyn in Polen und den schriftlichen Zeugnissen von Schreibern, Militärs, Sekretärinnen, Köchen und anderen trägt er ein bisher nicht bekanntes Bild des Alltags im Führerhauptquartier zusammen. Bohr präsentiert diese akribisch recherchierten Details sehr gut lesbar.
Jahr für Jahr erinnern die beiden Kirchen und die Aktiven, die sich um die Erinnerung an das Konzentrationslager in Spaichingen (1944-1945) kümmern, an das Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung seines eines entfesselt-fanatischen Mobs am 9. November 1938. In diesem Jahr tritt die Lesung Bohrs an die Stelle der Erinnerungsveranstaltung.

In Spaichingen wird Bohr auch im Interview mit der Vorsitzenden des Vereins, Regina Braungart, über das ebenfalls 2025 von ihm herausgegebene Buch „Hitlers treues Volk“ sprechen. Bohr, Leiter des Geschichtsressorts beim „Spiegel“ hat in Berlin und Rom Geschichte sowie katholische Theologie studiert. Ein Abschnitt in dem Buch handelt vom schnellen Überlaufen vieler Katholiken nach 1933 zu den Nationalsozialisten. Ein Phänomen, das auch im Spaichingen zu beobachten war.
„Wir haben uns dem Anliegen verschrieben, gerade nachdem viele Zeitzeugen nicht mehr leben, an die Barbarei des Nationalsozialismus zu erinnern“, sagt Regina Braungart. „Dass diese das Leben und Sterben bis in unsere Kleinstadt und die umliegenden Dörfer erfasst und geprägt hat und viele nicht glauben konnten, mit welcher Geschwindigkeit ab 1933 exakt das umgesetzt wurde, was angekündigt worden war, das ist eine Erfahrung, die man nur durch solch lebensnahe Schilderungen zu begreifen beginnt“, so die Vorsitzende des Vereins „KZ-Gedenken in Spaichingen“. „Deshalb freuen wir uns, dass Felix Bohr uns die lebensnahe, fühl- und fast sichtbare Perspektive mit seinem Buch näher bringt.“
Der Eintritt ist frei. Die Buchhandlung Grimms Lesen und Genießen wird einen Büchertisch aufgebaut haben.
Info: Bereits am Montag, 10. November, liest Bohr um 19 Uhr im „Felsen“, Stuttgarter Straße 8, aus seinem Buch „Vor dem Untergang“ auf Einladung des Rittergarten e.V..